Christians Verlag – Heimo Reinitzer: Gesetz und Evangelium
Heimo Reinitzer: Gesetz und Evangelium
Heimo Reinitzer: Gesetz und Evangelium Heimo Reinitzer: Gesetz und Evangelium

Über ein reformatorisches Bildthema, seine Tradition, Funktion und Wirkungsgeschichte

Ein etwa 1523 entstandenes Bildthema, das die lutherische Rechtfertigungslehre, die Lehre von Gesetz und Evangelium, didaktisch erklärt, predigthaft verkündet, polemisch funktionalisiert und bekenntnishaft stilisiert auf Flugblättern, Gemälden, Kanzeln, Bucheinbänden, Glasfenstern, Tellern, Truhenfronten oder Grabplatten. Es wird in vier Typen ausformuliert, variiert und in zahlreichen Bildzitaten bis ins 19. Jahrhundert tradiert.

Wie wird der sündige Mensch von Sünde frei? Diese Frage hat Martin Luther mit dem Apostel Paulus und gegen den herrschenden Zeitgeist beantwortet: Nicht durch eigene Werke, sondern allein durch die im Evangelium verkündete und im Glauben angenommene Gnade Gottes, der seinen eigenen Sohn hingab, um den Menschen vor sich selbst gerecht zu machen. In diesem Satz liegt die Kernkraft der Reformation, er wird in vielfachen Ausformungen geschrieben, gedruckt, gelehrt, gepredigt, öffentlich verteidigt und, vielfach variiert, ins Bild gesetzt. Von diesen Bildern, ihren Traditionen, Variationen und Intentionen legt dieses Werk in zwei Bänden Zeugnis ab.
In akribischer Detailarbeit hat Heimo Reinitzer Kupferstiche, Holzschnitte und Holzschnittrahmen, Buchillustrationen, Titelseiten und Vorsatzblätter von Bibeln, Bucheinbände, Gemälde, Holzreliefs, Wandgemälde, Fresken und Wandteppiche, Darstellungen auf Kanzeln und Altären, Brunnen und Beischlagwangen, Glasfenster, Ofenplatten, Truhenfronten, Kaminsteine, Teller und Trinkgefäße gesammelt und verschiedenen Bildtypen und Leseintentionen zugeordnet. Jede der gezeigten Darstellungen hat einen geschichtlichen Ort und reagiert auf Geschichte, auf Konfessionspolitik ebenso wie auf persönliche Schicksale. Sie belehren, sie sind Predigt, sie polemisieren gegen die Papstkirche, zeigen das Selbstbewusstsein des Schmalkaldischen Bündnisses, aber auch die tiefe Betroffenheit nach der Schlacht bei Mühlberg. Das Bildthema von ,Gesetz und Evangelium‘ wird zum Bekenntnisbild verfolgter evangelischer Christen, in Österreich ebenso wie in Bayern oder Schlesien.
Die Abbildungen wurden von den Zeitgenossen in allen ihren Verwendungsweisen und Gebrauchszusammenhängen als dezidiert evangelisch empfunden und daher in der Gegenreformation oft beseitigt, übermalt oder teilweise zerstört. Sie riefen auf reformkatholischer Seite aber auch Bildentwürfe hervor, die Nähe zur Thematik von ,Gesetz und Evangelium‘ zeigen und doch (vortridentinisch) katholisch sind.
Das Bildthema von ,Gesetz und Evangelium‘ zeigt meist einen grün/dürren Baum in der Mitte, einen oder zwei nackte Sünder, die von Mose ins Gesetz, vom Teufel in den Told, von Jesaja und Johannes d.T. ins Evangelium gewiesen werden. An die Stelle des Baumes tritt in Nachfolge bernhardischer Mystik das Kreuz, anstelle des Einzelbildes treten breit ausgearbeitete Bildfolgen oder Bildzitate, die nur Mose und Johannes d.T., Moses als Träger des Evangeliums oder Engel zeigen, die dürre oder grüne Zweige tragen.
Erst die Öffnung der Grenzen und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten machte es möglich, nicht nur die wichtigsten Zeugnisse in den alten Bundesländern, in Österreich und Polen, sondern alle einschlägigen Denkmäler in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt selbst aufzusuchen und, wenn möglich, zu photographieren. Damit ist es dem Autor gelungen, einen in dieser Dichte nicht bekannten Themenkomplex der Kirchengeschichte unter einem neuen, übergreifenden Blickwinkel darzustellen – ein einzigartiges, reich bebildertes Standardwerk für Theologen, Germanisten, Historiker und Kunsthistoriker, aber auch für kunstinteressierte Gläubige beider Konfessionen.

Rezension in der FAZ vom 13. August 2008

Hamburg 2006
ISBN 978-3-939969-00-6
Leinen, zwei Bände im Schuber
952 S., mit zahlr. Farbabb.

€ 128, – zzgl. Porto